Ein Plädoyer an die vermeintlich „negativen“ Gefühle

Part I

Neid als Hinweis auf unsere ungelebten Sehnsüchte erkennen

„Neid ist ein Eingeständnis der eigenen Minderwertigkeit“ hörte ich jemanden sagen. Das hat mich nachdenklich gemacht. Stimmt das für mich? „Neid entsteht aus einem Vergleich“, hörte ich jemanden sagen. Ja, das würde ich erstmal auch so sehen. Und Vergleich ist etwas, das uns nur in einem bestimmten Kontext dient. Nicht dort, wo wir uns mit anderen vergleichen, sondern dort wo wir es benutzen, um uns an uns selbst zu messen, und ob das, was wir machen auch zum Erfolg führt, oder ob wir unsere Strategie an einer Stelle anpassen dürfen, so dass sie uns dient.

Aber zurück zum Neid.

Wie reagierst du auf deinen Neid?

Wehrst du das Gefühl eher ab?

Verurteilst du dich dafür?

Ärgerst du dich vielleicht über dich, wenn du dich dabei ertappst neidisch zu sein?

Fühlst du den Schmerz darin?

Wenn wir unserem Neid innerlich Raum geben, wirklich hinschauen und hinspüren, was da gesehen werden will, dann dürfen wir erkennen, dass es hier nicht um ein vermeintlich „negatives“ Gefühl geht, sondern, dass in unserem Neid ein wichtiger Hinweis verborgen liegt. Und zwar ein Hinweis auf unsere Sehnsüchte und Bedürfnisse. Auf die ungelebten, auf die, die wir nicht ernst genug nehmen, oder verdrängen oder auf irgendeine andere Art nicht da sein lassen.

Denn es ist ja so: Wir können nur auf etwas neidisch sein, was uns persönlich berührt, besser noch,  worauf wir Resonanz haben. Wir können nur auf etwas neidisch sein, uns nach etwas sehnen, was auch in uns selbst lebendig sein möchte. Das bedeutet: Du hättest den Wunsch nicht, wenn du es nicht könntest.  Und das ist wichtig zu verstehen. Unser Neid zeigt uns, wozu wir eigentlich in der Lage sind. Er zeigt uns etwas über unser ganz individuelles ungelebtes Potenzial.

Wenn ich meinen Neid spüre, dann darf ich mich also fragen, was in letzter Zeit vielleicht zu kurz gekommen ist? Oder worauf ich vielleicht zu häufig verzichtet habe? Oder auch, was ich mir selbst häufig verbiete oder nicht zulassen kann oder will? Durch genau diese ungelebten und missachteten Bedürfnisse und Wünsche in uns entsteht das Gefühl, dass das wonach wir uns sehnen nur anderen vorenthalten ist und wir gehen in den Mangel und sehen nur noch, was wir vermeintlich NICHT haben.

Ich mag es meinen Neid als eine Freundin zu betrachten, die zu Besuch kommt, wenn ich mal wieder etwas zu wenig an mich selbst gedacht oder zu selten auf mich gehört habe. Sie provoziert mich, lockt mich aus der Reserve, damit ich hinschaue und mich bewege. Denn der Schmerz macht, dass wir uns aufmachen und uns überhaupt wagen in die Veränderung zu gehen.
Danke Neid, dass du mich auf das aufmerksam machst, was bisher zu wenig Beachtung bekam.